Ein Gastbeitrag von Jakob Springfeld

An Montagen kann ich nicht mehr sicher durch meine Heimatstadt Zwickau laufen. Hunderte Rechte ziehen dann durch die Straßen. Wer stoppt sie?

Montage sind Horrortage. An Montagen kann ich nicht mehr sicher durch Zwickau laufen. Stattdessen stets dasselbe Bild: Gewaltbereite Neonazis tun sich mit anderen Rechten, gemäßigten und radikalen, zusammen und verbreiten Angst und Untergangsstimmung. NPD, »Freie Sachsen«, »Der Dritte Weg«, AfD – alle sind dabei. Geschimpft wird auf »den Kriegstreiber«. Gemeint ist nicht Wladimir Putin, der mit Atombomben droht, sondern Robert Habeck.

Am 2. Oktober, einen Tag vor dem Tag vor dem der Deutschen Einheit, zogen rund 1500 Leute, angeführt von trommelnden Neonazis, durch Zwickau, meine Heimatstadt. Ein Redner fragte: »Wollt ihr den totalen Krieg?« Allerspätestens jetzt hätten diejenigen, die stets bekunden, der Demokratie die Stange zu halten, protestierend die Kundgebung verlassen müssen. Jedes Schulkind weiß doch, dass mit dieser Frage schon Hitlers Scharfmacher Joseph Goebbels Stimmung machte. Doch in Sachsen ist es offenbar inzwischen normal, dass solche Anspielungen und Zitate geduldet werden.

Ich weiß, wie es ist, unter Nazis zu leben. Mich macht das traurig. Auch weil ich meine Ohnmacht wahrnehme, die von Monat zu Monat wächst, da ich zunehmend spüre, dass gegen die Rechten kein Kraut gewachsen ist. Es erinnert mich an ein Geschwür, gegen das nichts wirkt, bei dem die Ärzte auf ein Wunder hoffen, aber nicht mehr an Heilung glauben, weil sie schon alles ausprobiert haben. Sachsen ist austherapiert – so fühlt es sich für mich manchmal an. Neulich bei der Kundgebung der Putin-Sympathisanten und Habeck-Verächter war ich mit einem Dutzend Freundinnen und Freunden auf der Gegendemonstration. Wir riefen immer verzweifelter: »Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!« Wir waren eine sehr kleine Gruppe gegen Hunderte Wutbürger, die Seite an Seite mit Nazis und anderen Rechten marschierten.

Die Polizei bat trommelnde Rechtsradikale, ihre Warnwesten auszuziehen, damit sie nicht gegen das Uniformverbot verstoßen. Wütende Männer brüllten die Ordnungskräfte an: »Schämt euch, schämt euch.« Ich habe den Eindruck, dass die Polizei schon lange überfordert ist. Sie kann gar nicht alle Straftaten, nicht mal die verfassungsfeindlichen, verhindern und ahnden, dazu ist sie personell zu schlecht besetzt.

Die Rechten in Sachsen sehen das als ihre Chance. Sie glauben, dass ihre Stunde bald schlägt, reden vom Tag X, den sie herbeisehnen. Gemeint ist der Tag des Umsturzes, an dem sie die Macht übernehmen wollen. Ihre Montagsdemonstrationen sind zu einem Ereignis geworden. Wohingegen Fridays for Future, das in Zwickau oder zum Beispiel Plauen ohnehin keinen großen Zulauf hatte, inzwischen Mühe hat, Leute zu mobilisieren. Vielleicht hat das auch mit Angst zu tun. Ich jedenfalls habe Angst. Es reicht so auszusehen, wie sich Rechte einen »typischen Linken« vorstellen, um bedroht, bepöbelt und verprügelt zu werden. Es reicht, wenn man an einer Demo teilnimmt, deren Forderungen Rechte ablehnen. Am Christopher Street Day in der Zwickauer Innenstadt sollen Nazis queere Menschen gejagt und einige zu Boden geschlagen.

Engagement für Themen, die mich bewegen, wird immer schwieriger da gefährlicher. Unsere Demos für Klimaschutz, Menschenrechte oder soziale Gerechtigkeit enden, wenn sie denn überhaupt noch stattfinden, oft mit der Erkenntnis, dass wir sehr wenige sind und die anderen, die rechten Fanatiker, in der Mehrzahl.

Mich erinnert das an Berichte, die ich über Schlägereien zwischen Nazis und Kommunisten in Zeiten der Weimarer Republik gelesen habe. Ganz besonders bei den Montagsdemos in Leipzig liegt eine extreme Spannung in der Luft. Linke und Rechte ziehen in Kleingruppen durch die Straßen, so dass ich immerzu denke, dass es jeden Augenblick knallen kann. Bekommt man im Rest von Deutschland überhaupt mit, was sich hier bei uns zusammenbraut? Es ist eine extrem-rechte Massenbewegung entstanden, größer, als Pegida je war.

Staat und Polizei müssen dem entgegentreten. Aber es kommt auch auf alle Demokratinnen und Demokraten an, auch auf die, die noch schweigen. Das ist der Grund, warum ich meine Angst überwinde und auch diesen Montag wieder demonstrieren gehe. Aber es fällt mir zunehmend schwerer. Und das sollte allen, die das hier gelesen haben, Sorgen bereiten.

Ich habe echt das Gefühl, dass wir in Deutschland ein massives Problem mit den Rechten bekommen, ohne dass wir eine gescheite linke Gegenbewegung haben.