Die Bauern hatten ein Rekordjahr. Nun lähmen sie das Land, weil ein Bruchteil ihrer Subventionen wegfällt. So geht’s nicht. Zeit, das System zu hinterfragen.

Ein Kommentar von Dr.Kolja Rudzio

Straßen im ganzen Land waren blockiert, etliche Autobahnzufahrten nicht mehr passierbar. In Emden musste ein VW-Werk schließen, weil niemand zu dem Industriebetrieb durchkam. In Brandenburg waren ganze Städte abgeriegelt. Es gäbe keine Möglichkeit mehr, in die Stadt Brandenburg an der Havel zu gelangen, Cottbus sei in Kürze auch nicht mehr erreichbar, warnte die Polizei. Auf der A 1, bei Vechta, schritten die Beamten ein, weil Bauern mit ihren Traktoren die Fahrbahnen blockierten und es zu brenzligen Situationen mit Unfallgefahr kam. Bei Friesoythe wurde ein Mensch schwer verletzt, als ein Autofahrer eine Blockade umfuhr, die genauen Umstände sind unklar. Und das war nur Tag eins einer ganzen Protestwoche, die die Bauern angekündigt haben. Anlass für ihre Aktionen sind die – zum Teil schon zurückgenommenen – Pläne der Regierung, bei den Subventionen für die Landwirtschaft zu kürzen.

Ist es gerechtfertigt, wegen dieser Kürzungen das Land in einen Ausnahmezustand zu versetzen? Muss man mit den Landwirten Verständnis haben?

Die Antwort lautet zweimal: Nein. Was die Bauern hier aufführen, ist weder in der Form noch vom politischen Inhalt her angemessen. Das gilt, sofern sie an den Verkehrsblockaden mitwirken, auch für einige Speditions- und Logistikfirmen, die am Montag ebenfalls protestierten. Die ärgern sich, weil die Regierung die Lkw-Maut erhöhen will.

Natürlich kommt es bei Demonstrationen aller Art oft zu Verkehrsbehinderungen, das ist fast unvermeidlich. Aber Aktionen einer sehr kleinen Gruppe, die ganz bewusst darauf abzielen, Autobahnen zu blockieren und die Bewegungsfreiheit möglichst vieler Menschen einzuschränken, sind völlig unangemessen. Juristisch mögen diese Proteste noch gerade so durchgehen. Autobahnauffahrten darf man wohl kurzzeitig blockieren, Abfahrten wiederum nicht und die Fahrbahnen selbst ebenfalls nicht. Aber selbst wo die Grenze des Erlaubten nicht überschritten wurde, bleibt die Frage, ob dieses Vorgehen richtig ist. Schließlich ist nicht alles, was erlaubt ist, auch legitim.

Es kommt etwas ins Rutschen in einer Gesellschaft, wenn sich jeder wie selbstverständlich herausnimmt, dass für seine Interessen oder politischen Ziele alle anderen mal für ein paar Stunden oder Tage auf ihre Freiheitsrechte verzichten müssen. Die Aktionen der Letzten Generation sind kein Beispiel, das man nachahmen sollte. Mit solchen Blockaden weckt man bei vielen Menschen auch nicht das Verständnis, das man sich – vielleicht – erhofft. Oder geht es in Wahrheit gar nicht um Empathie, sondern eher um Erpressung?

Da hilft es auch nicht, dass Bauernpräsident Joachim Rukwied in Interviews die Bevölkerung “um Verständnis dafür” bittet, dass es “zwangsläufig zu Verkehrsbeeinträchtigungen kommen” werde, wenn die Bauern mit ihren Traktoren unterwegs seien. Das hat schon etwas Höhnisches. Wenn jemand seinen Traktor quer auf die Autobahnauffahrt stellt, geschieht das nicht zwangsläufig, sondern absichtlich.

Es ist auch nicht so, dass der Protest “zwangsläufig” wäre, weil die Bauern um ihre Existenz kämpfen müssten. Gerade erst haben sie ein Rekordjahr hinter sich, ihre Gewinne sind zuletzt um 45 Prozent gestiegen. Dass sie ihre Produkte in Zeiten von Knappheit zu Höchstpreisen verkauft haben, war im vergangenen Jahr ein wichtiger Faktor bei der Inflation der Verbraucherpreise. Gerade bei den Agrarprodukten erhöhten sich die Preise stärker als die Kosten. Weil die Nachfrage da war und der Weltmarkt es möglich machte, konnten die Landwirte Rekordgewinne einstreichen. Das sei ihnen gegönnt.

95 Prozent der Subventionen fließen weiter

Aber dazu passt es nicht, jetzt wegen einer Kürzung bei den Subventionen so zu tun, als ob es um den Untergang der Landwirtschaft in Deutschland ginge. Nur um es einmal ins Verhältnis zu setzen: Im Durchschnitt erwirtschaftete ein Landwirtschaftsbetrieb zuletzt einen jährlichen Gewinn in Höhe von rund 120.000 Euro nach Abzug aller Kosten. Die Dieselbeihilfe, die jetzt in zwei Stufen abgeschmolzen werden soll, beträgt im Durchschnitt etwa 2.780 Euro, also kaum mehr als zwei Prozent davon. Weder für kleine noch für größere Betriebe sei das existenzgefährdend, sagen unabhängige Experten, etwa vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien in Halle (an der Saale).

Auch wenn man die Kürzung ins Verhältnis zu den gesamten für den Agrarsektor gezahlten Beihilfen setzt, relativiert sich ihre Größe. Es geht um gerade mal fünf Prozent der gewährten Förderungen – 95 Prozent der Subventionen sollen also weiterhin fließen. Dabei wird kaum eine andere so kleine Branche derart stark subventioniert wie der Agrarsektor. Fast ein Drittel des EU-Haushaltes ist allein für die Agrarhilfen vorgesehen.

Nicht alle Betriebe mit Steuergeld päppeln

Manchmal heißt es, Durchschnittsangaben zu den Gewinnen der Landwirte oder zu ihren Einnahmen aus der Dieselbeihilfe führten in die Irre, die Situation der Betriebe sei viel zu unterschiedlich. Das ist nicht ganz falsch. Aber wenn es stimmt, dass bestimmte Betriebe in besonderer Weise auf die Dieselsubvention angewiesen sind und andere sie im Umkehrschluss noch weniger nötig haben, als es die Durchschnittswerte signalisieren, dann könnte man daraus allenfalls eine Härtefallregelung ableiten. Deshalb muss man längst nicht alle unterschiedslos mit Steuergeld päppeln.

Ein beliebter Spruch auf den Protestplakaten der Bauern lautet: “Beiß nie die Hand, die dich füttert.” Es ist natürlich etwas rustikal, von “Beißen” zu reden, wenn es nur darum geht, dass der Staat Unternehmern einen Bruchteil ihrer Subventionen streichen will. Aber man fragt sich bei diesen Aggro-Agrarprotesten auch, wer hier eigentlich wessen Hand beißt und wer wen mit Subventionen unterstützt. Es ist vielmehr an der Zeit, einmal die gesamten Agrarsubventionen zu hinterfragen. Warum wurden sie eingeführt? Erfüllen sie ihren Zweck? Könnte man das Geld vielleicht sinnvoller einsetzen?

https://archive.is/axmEY#selection-1249.0-1249.19

https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-01/proteste-bauern-blockade-verkehr-kuerzungen